Geschafft! Erleichtert! Glücklich! Jedes Rennen hat seine eigene Herausforderung, aber selten hat mich ein Rennen mental so fertig gemacht. Seit 30 Minuten sitze ich nun vor dem Laptop und weiß überhaupt nicht, wie ich meinen Bericht beginnen soll. Die Emotionen - es waren unglaublich viele - daher will ich gar nicht chronologisch anfangen. Zum fünften Mal wollte ich mich der Herausforderung von 530KM mit 14.000 Höhenmetern stellen. Zum ersten mal jedoch mit einer Vorbelastung der besonderen Art. Vor 12 Tagen finishte ich den Glocknerman mit 1050KM und knapp 17.000 Höhenemtern in unter 40 Stunden. In diesen 12 Tagen habe ich normal wie jeder andere meine meist 10 Stunden langen Arbeitstage durchgeboxt und dank des Feiertages am Donnerstag konnte ich wenigstens einen Tag richtig gut ausschlafen. Bei der Fahrerpräsentation kurz vorm Start waren daher meine Erwartungen auch sehr gering. Ich wusste, was mein Körper alles ertragen musste und war einfach nur am Start mit der Zielsetzung, das RATA zu finishen. Erfreut vom Empfangskomitee aus meiner Heimat um Markus, Julia, Peggy, Michael, Mirijam und Hilde sowie der Freude mit vielen Freunden aus der Ultraradszene am Start zu stehen, ging es wie üblich am Freitag um 12 Uhr los. Dieses Jahr wurde vom gesamten Feld von Beginn an ein hohes Tempo gefahren, sodass es bis zum Stelvio keinem Fahrer gelang auszureißen. Bis dahin ging es mir auch richtig gut. Doch bis dahin hat man auch gerade mal 200 Höhenmeter bewältigt. Also ging es nun rauf zum Stilfser Joch. Ich ließ die erste Führungstruppe direkt ziehen, da diese mit einer Klettergeschwindigkeit von etwa 1200 Höhenmeter pro Stunde ein sehr hohes Tempo vorlegten. Ich pendelte mich um 1000 HM pro Stunde ein, sollte aber schon im Verlaufe des Ansteiges Probleme mit meinen Knien bekommen. Die ersten 20 Serpentinen konnte ich noch öfters mal auf den Wiegetritt umsteigen, nach 2 Stunden Rennzeit ist dies aber zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden. Dies bedeutete, dass ich alles im sitzen fahren musste. Mein Puls hat auch in dieser Zeit wiedermal nachgegeben, sodass ich "lockerer" von den theoretischen Pulswerten hab hochfahren müssen. Nach etwa 2:40 ging es für mich dann über die Passhöhe des Stelvio. Mit Freude auf die Abfahrt und erneut mit einigen spektakulären Überholmanövern konnte ich mich dann wieder irgendwo um Position 7-10 ins vordere Feld reinfahren. Doch sobald es in den Gavia ging, war mein Knie erneut nicht mehr so belastbar, wie ich es mir wünschte. Als ich dann Thomas Strebel in Santa Catharina am Fuße des Gavia sah, der hier das Rennen schon aufgegeben musste, war ich ein wenig verwundert. Er sprach von kraftlosen Beinen. Ich versuchte ihn nochmals zu motivieren, doch er wollte einfach nicht. Der Gedanke gefiel mir. Nicht mehr wollen. Einfach aufhören. Denn das Knie schmerzt. Klar, ich kriege die Kurbel noch rum, aber das Knie schmerzt. Nein, noch nicht aufgeben, wenigstens noch die Gaviaabfahrt fahren, denn die hat es echt in sich . Ich kroch den Gavia dann "nur" noch mit etwa 800HM die Stunde zu Ende. Meine Gedanken während dieses Anstieges waren bei einem sehr lesenswerten Bericht vom Lassi Ibert vom Glocknerman. Er quälte sich ab KM 600 ebenfalls mit enormen Knieschmerzen 400 KM bis zum Ziel. Er konnte teilweise nur 100 Watt treten und ich war immerhin noch nicht so kaputt, wollte aber schon fast aufhören. Auf der Abfahrt war es dann wieder soweit, ich konnte gar zwei Mitstreiter überholen und Rainer Steinberger, der in ca. 30 sec vor mir das Tal hinaus fuhr, wartete auf mich. Steinberger? Stimmt, der Bruder vom Bernhard, mit dem ich vor 2 Wochen beim Glocknerman auf dem Podest stand. So fuhren wir gemeinsam mit Kette rechts, Kopf Richtung Boden und windschlüpfrig liegend auf den Auflieger Richtung Tirano. Der Hügel Aprica hat uns dabei keine Sorgen bereitet. Mein Knie meldete sich immer nur zu Wort, wenn ich im Wiegetritt fuhr, aber sitzend hat es bis dato gehalten. Aufgrund unseres hohen Tempos sowie einer Zugüberquerung konnten wir auf Elias von Hoydonk und Martin Pramstaller aufschließen. In Tirano angekommen hatten wir 23° und meine kulinarischen Gelüste meldeten sich zu Wort. Eis! Echtes italienisches Eis. Ich schnorrte mir vor einer Ampel bei dem Betreuerteam vom Martin 2 € und hielt direkt bei der nächsten Eisdiele an. Brüllte an der Eistheke was von zwei Kugeln, einmal Schoko und einmal Straciatella, zahlte die zwei Euro - die an sich wohl zu wenig waren - und bin direkt wieder weitergefahren. Bereits nach 2 km konnte ich dann wieder in der Gruppe von vorhin mitfahren. Zum Anstieg hin habe ich dann für dieses RATA etwas besonderes ausprobiert: ich wechselte auf das 29er Trek 9.8 Superfly mit Slickbereifung von Gerd. Die Schnelligkeit war mir hier egal, aber ich konnte mir Kraft ersparen. Doch nun brachte mich zugleich auch mein Knie um. Ich musste diesen Anstieg mit durchschnittlich 15% auf 10 KM im sitzend fahren, weil mein Knie nicht mehr im Wiegetritt funktierte. Ich habe innerlich geweint. Wollte nur alleine sein. Etwa nach 6 KM stieg ich vom Rad ab. Setzte mich vor das Auto und Julia und Lisa redeten auf mich ein. Ich weiß nur noch irgendwas von Pizza in Aprica und das Julia eine große Menge Volteren Schmerzgel auf das Knie schmierte und es ein wenig massierte. Ich konnte anschließend nicht mal selbst aufstehen. Ich legte mich für knapp 10 Minuten nochmal in das Pacecar und ließ mir den Rücken ein wenig massieren, da ich durch das lange sitzende Treten auch da langsam Schmerzen bekam. Nach einer Pause von 20-30Minuten und der in Aussicht stehenden Pizza in Aprica raffte ich mich nochmals auf, wenigigstens den Mortirolo zu Ende zu fahren. Auf dem Weg zum Gipfel hat mich eine stark kletternde Nadja Prieling überholt, die das Rennen später mit einer Zeit von 28:32 als gesamt 22. beendete. Bei einsetzender Dämmerung ging es dann den Mortirolo runter. Wie schon in den letzten zwei Jahren habe ich hier erneut meine Trinkflasche beim Abwärtsfahren verloren, da ich einfach abwärts zu wenig bremse. An Nadja bin ich vorbeigeschossen, als ob sie gerade gestanden hätte. Richtung Aprica ging es mir dann auf einmal besser. Mein Knie hörte auf zu schmerzen. Julia meinte auch etwas wie ignoriere einfach deine Schmerzen und erinner dich an deine Stärken. Du kannst dich während eines solchen Rennens erholen und du weißt genau, dass du diese Strecke packst. In Aprica gab es dann die versprochene Pizza und einen Espresso. Ich dachte an die wartenden Menschen im Ziel und absolvierte so Kilometer um Kilometer. Motiviert durch die ebenso absolvierten schmerzfreien Kilometer habe ich die Pizza auf dem Rad in Ruhe gegessen. Wer weiß, vlt. hat ja Julia recht. Immerhin bin ich ja den Mortirolo mit dem MTB gefahrnen, um Kraft zu sparen. Nun war es an der Zeit etwas von der ersparten Kraft auszupacken. Zum zweiten Mal passierten wir Tirano, bogen dieses mal links an der Kirche ab und begannen nun die Auffahrt zum Bernina. Wow: 900-1000HM die Stunde. Wiegetritt zwischendurch. Fast gar keine Schmerzen mehr. Es läuft. Ich überhole 3 Mitfahrer am Bernina. Oben schnell eine dicke Jacke angezogen, rutner nach Pontresina und weiter Richtung Anstieg zum Albula. Inzwischen ist Gerd zu uns ins Pacecar gestiegen, sodass Lisa und Julia mal einen Augenblick den Betreungsaufwand senken konnten. Im Anstieg sah ich dann den starken Belgier Elias van Hoydonek erneut vor mir. Und auch hier ging der Berg mit einer Klettergeschwindigkeit von 900HM pro Stunde schnell vorbei. Oben Angekommen war es leicht nass. Man bat mich die Abfahrt daher ein wenig behutsamer anzugehen und aus irgendeinem Grund habe ich dieser Anweisung mal zurecht Folge geleistet. Bei ebenfalls 3-4° ging es dann Richtung Tiefencastel von wo es weiter Richtung Davos geht. Bei diesem Teilstück erreigntete sich dann etwas, das ich als grob unsportlich empfinde. Der spätere Zehntplatzierte Harry Schweikert hatte auf dem 26KM langen Teilstück von Tiefencastel bis zum Anstieg Flüelapass einen seiner Betreuer als Domestiker am Rad bei sich bei. Er radelte nicht nur nebenher, er fuhr auch vor ihm als Windschattenspender. Dass dies einen enormen Einfluss auf das Rennen hat, scheint aber dem Ausrichter nicht zu interessieren. Denn trotz mehrfachen Beweis von diesem Teilstück greift der Ausrichter nicht konsequent durch. Ich rede hier nicht von einem DSQ, denn treten muss man auch im Windschatten! Aber eine Zeitstrafe von mindestens 30Minuten wäre hier angebracht gewesen. Denn erstens als ich an Harry vorbeifuhr, war ich sehr schnell weit weg und hatte zuvor auch sehr schnell Zeit aufgeholt, doch dann auf einmal ist der Abstand mehr oder weniger konstant gleich geblieben. Als ich eine Pinkelpause machte, sind sie hintereinander, Harry natürlich im Windschatten seines Betreuers, an mir vorbei gefahren und mein innerlicher Unmut über dieses grob unsportliche Verhalten hat mich wütend werden lassen. Doch ich wollte mich davon nicht beirren lassen und bin dann am Flüela endgültig aus seiner Sichtweite gefahren. Hier ist Harry ja dann auch alleine hochgefahren. In knapp einer Stunde habe ich den Flüela dann auch bewältigt und freute mich auf eine der schnellsten Abfahrten dieses Rennens. Denn die Abfahrt hat fast nur leichte Kurven und bei 10% Gefälle sind hier regelmäßig 90Km/h möglich. Danach verließ Gerd das Pacecar wieder und wir waren wieder zu Dritt auf dem Weg Als ich in Zernez war, wusste ich, dass es nur noch 2,5 Berge sind. Ofenpass, Stilfserjoch und Reschenpass. Ich gab nochmal alles. Fuhr den Ofenpass ebenfalls mit einer Aufstiegsgeschwindigkeit von fast 900HM die Stunde hinauf. Hierbei überkamen mich schon einige Male leichte Heulanfälle, weil ich für mich schon wusste, dass ich das Rennen finishen werde. Ich war hier innerlich schon sehr dankbar für die Arbeit, die Julia und Lisa geliefert haben. Als ich Waltl Florian überholte, war ich nun sogar in den Top 10. Doch ich überholte ihn nicht einfach so, sondern einigte mich mit Flo darauf, ihn wenigstens zum Anstieg Stelvio mitzuzuiehen, sodass er ein wenig fitter in den Berg gehen kann. Schließlich ist das Windschattenfahren unter Teilnehmern ja erlaubt! Kurz nach dem Beginn des Anstieges war klar, dass ich der nun wesentlich fittere bin und kletterte erneut mit 800-900HM pro Stunde den Stelvio hoch. Eine kurze Cola Pause zur Halbzeit gab mir dann den Kick weiter nach vorne zu attackieren. Und dann sah ich Rainer wieder. Knapp 4KM vor dem Gipfel sah ich wie er sich rauf hustete und quälte. In diesem Moment war mir mein Ergebnis egal. Ich habe einen "Kollegen" leiden sehen und wollte ihm jetzt nur noch helfen. Mit einer Verkühlung ist er gestartet, weil er auch seinen Betreuern dieses Spektakel erleben lassen wollte und ich hab beim Glocknerman seinen Bruder überholt ohne es mitzubekommen. Dieses mal aber wollte ich es machen, wie ich es auch beim Glocknerman gemacht hätte. Ich wollte ihm helfen das Rennen zu beenden. Ein paar Mal gab ich dan "aktiven" Windschatten und brüllte ihn an, dass er sich jetzt die letzten echten Bergkilometer zusammenreißen sollte. Oben angekommen verpflegten uns seine Betreuer, weil mein Team schon weitergefahen ist, um uns wiederum dann unten im Tal zu betreuen, während Rainers Pace Car im Verkehr vom Stelvio runter feststeckte. Die Abfahrt war für uns beide dann die reinste Qual. 500 Traktoren fuhren den Stelvio hinauf, dazu normaler Auto- und Motorradverkehr sowie ein paar Radtouristen. Das war alles zuviel. Wir sind runtergekommen und ich habe erneut mal mehr als nötig gebremst. Das einzig Positive an der Abfahrt in Kombination mit der Traktorveranstaltung war, das 4-er Paket an Vinschger Äpfeln, das auf halber Strecke verteilt wurde - obwohl diese eigentlich für die Traktorfahrer bestimmt gewesen wären. In Prad angekommen hieß es nochmals Zähne zusammen beißen und die letzten 500HM irgendwie überwinden. Rainer war zu diesem Zeitpunkt einfach alles egal. Er stoppte gerade mitten auf der überfüllten Reschenpassstraße und übergab seine Jacke meinem Betreuerteam. Das Gehupe dahinter ignorierten wir an dieser Stelle mal. Ich brüllte ihn nun erneut an, dass er an mir dran bleiben soll und er mir durchgeben soll, wie er mit dem Tempo zurecht kommt. Stück für Stück näherten wir uns Nauders und uns ist eines nun klar geworden: wir werden beide das Rennen finishen. Gelitten haben wir beide. Mit Rainer die letzten Meter ins Ziel zu spazieren, hat mir dann sehr viel bedeutet. Denn es geht mir persönlich im Sport immer mehr als um ein Ergebnis und diese Qualen, die Rainer für sich oder ich für mich und jeder Finisher für sich irgendwo durchstehen hat müssen. Dieses zu überwinden und in diesem Moment zu teilen, ist einfach schön. So konnten wir zu Fuß den Zieleinlauf genießen und uns im Ziel von unseren Betreuern herzen lassen. Das RATA in Kombination mit dem Glocknerman ist keine gute Idee. Ja, es ist machbar. Aber es macht einen körperlich und seelisch fertig. Die kleine Dreiländergiro Strecke mit Julia zu fahren am Folgetag, war dagegen schon wesentlich einfacher, da kein Druck mehr da war - aber zwei Ultrarennen in 14Tagen werde ich wohl nie wieder fahren. Erfreut hat mich das Ergebnis vom "Wundertroll" Severin, der schon so oft kurz vor dem Ziel hat leiden müssen und nun endlich gesund und fast problemlos als Dritter durchgekommen ist. Michael Konze, der mir nun endlich glaubt, dass das RATA härter ist als Rad am Ring und sich ebenfalls zu einem glücklichen Finisher kürte. Man muss nämlich immer noch eines bedenken, die "alten" Hasen wie Schoch, Grüner, Strebel, Popp und einige andere haben die 2014 Auflage aus unterschiedlichen Gründen nicht fertig fahren können und es ist halt ein Beweis dafür, wie anspruchsvoll diese Strecke ist und dass es zum Finishen sehr viel Kraft, Mut und Courage braucht. In diesem Sinne glaubt an Eure Fähigkeiten und an ein Finish! Denn so kann man Rennen "gewinnen". Gewonnen haben dieses Jahr 28 von 49 Startern. Keep Racing
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